„Starkstromunfälle im Umfeld öffentlicher Verkehrsmittel enden häufig tödlich, Überlebende sind oft mit dauerhaften schwersten Einschränkungen konfrontiert. Die große, unsichtbare Gefahr des Starkstroms muss Jugendlichen bewusst gemacht werden. Eine Stromleitung muss gar nicht erst berührt werden, um von einem 15.000 Volt Lichtbogen getroffen zu werden. Ein Augenblick der Unachtsamkeit kann ein Leben dramatisch verändern oder gar beenden.“
Sie sind Fachärztin für plastische und rekonstruktive Chirurgie am AKH Wien. Als solche haben Sie immer wieder auch Jugendliche behandelt, die beim Klettern auf einem Wagon durch Stromüberschlag einer Bahnleitung schwerst verletzt wurden.
-
Wie kam die Entscheidung, diese Fachrichtung einzuschlagen? Ich stelle es mir sehr schwierig vor, speziell wenn junge schwerstverletzte Menschen auf Ihrer Station landen.
Das Interesse an der Chirurgie, aber auch der plastischen Chirurgie kam schon in meiner Kindheit auf. Meine Mutter hat bei einer Pharmafirma gearbeitet, die eine Creme für Brandverletzungen hergestellt hat. Wir hatten damals viele Broschüren mit Abbildungen dieser PatientInnen zuhause und ich habe als Kind viel lieber diese anschauen wollen, als irgendwelche Kinderbücher. Die Vorstellung schwer Verletzte behandeln oder operieren und dadurch helfen zu können, hat mich schon immer fasziniert.
Die plastische Chirurgie ist ein sehr schönes, umfassendes und kreatives Fachgebiet. Sie umfasst die ästhetische Chirugie, die rekonstruktive Chirurgie, die Handchirurgie sowie die Verbrennungschirurgie.
Die Möglichkeit der Wiederherstellung von Form und Funktion unter Beachtung der Ästhetik ist ein besonders schöner Aspekt meiner Arbeit, mit der man sehr vielen PatientInnen helfen kann.
Die Behandlung von Schwerverletzten, sehr kranken aber auch sterbenden PatientInnen ist unser Alltag, in den man im Laufe seiner Ausbildung hineinwächst. Es ist unsere Aufgabe zu jedem Zeitpunkt und in jeder Lebensphase die für den /die PatientIn massgeschneiderte optimale Therapie zu ermöglichen.
Gewisse Schicksalsschläge, insbesondere die von sehr jungen PatientInnen betreffen einen schon, aber das zeigt, dass wir auch „nur Menschen“ sind. -
Was ist zu tun, wenn Menschen mit lebensgefährlichen Verbrennungen auf Ihrer Station landen? Was sind die Herausforderungen? Ist das allein „chirurgisch" zu bewältigen oder erfordert es abteilungsübergreifende die Zusammenarbeit? Wenn ja, welche? Wie wichtig ist die psychologische Betreuung?
Schwerbrandverletzte oder Starkstromverletzungen kommen entweder boden- oder luftgebunden (also per Notarztwagen oder Hubschrauber) sowie meist schon vom Notarzt intubiert und beatmet in den Schockraum unserer Intensivstation für Schwerbrandverletzte.
Je nach Verletzungshergang wird bei Aufnahme ein Polytraumascan, also eine Ganzkörper Computertomographie gemacht, um weitere Verletzungen zu diagnostizieren und ggf. entsprechend behandeln zu können. Die PatientInnen werden zunächst von unseren IntensivmedizinerInnen kreislaufstabilisiert und je nach Verletzungsschwere sofort oder im Verlauf – nach Abwarten des „Nachtiefens“ der Verbrennung – operiert. Die meisten PatientInnen benötigen kreilaufunterstützende Maßnahmen und sind über einen größeren Zeitraum intubiert und beatmet, um eine stress- und schmerzfreie Behandlung zu ermöglichen.
Je nach Verbrennungstiefe und Ausmaß werden die PatietInnen mit speziellen Verbandsmaterialien verbunden oder nach operativer Entfernung des abgestorbenen Gewebes mit Hauttransplantaten versorgt. Wenn bei schwerem Verbrennungsgrad tieferliegende Strukturen, wie z.B. Knochen oder Sehnen freiliegen, reichen Hauttransplantate nicht mehr aus. Diese Defekte müssen mit sogannten Lappenplastiken, also der Transplantation von Gewebe von einer Stelle des Körpers an eine andere, gedeckt werden. Solche mikrochirurgischen Eingriffe können je nach Schwierigkeit länger (einige Stunden, mitunter auch 12 h) dauern und werden Mithilfe von Lupenbrille und Operationsmikroskop durchgeführt.
(Anm d R: Nino Laitinen habe ich seinen Rückenmuskel (Latissimus dorsi Lappenplastik) und ein Haut-/Fettstück vom Oberschenkel (ALT Lappenplastik) auf seinen Kopf transplantiert, da dort nach Entfernung der abgestorbenen Haut = Eintrittsstelle des Stroms der Knochen freigelegen ist. Manchmal ist der Schädelknochen der Starkstromverletzten so durch den Strom geschädigt, dass dieser durch die Neurochirurgie entfernt wird und ein künstlicher Knochenersatz eingesetzt wird, um das Gehirn zu schützen)
Oftmals sind gewisse Körperteile komplett verkohlt, sodass man eigentlich nur noch amputieren kann und keine andere Rekonstruktion mehr möglich ist.
Starkstromverletzungen sind noch einmal komplexer in der Behandlung. Durch den überspringenden Lichtbogen mit 15.000 Volt fließt dieser durch den Körper des Betroffenen, es entsteht eine Strom Eintritts und – Austrittstelle. Der Körper ist in diesem Lichtbogen gefangen, viele Personen beginnen auch zu brennen. Wenn dieser Lichtbogen dann aufhört, werden die PatientInnen abrupt und mit großer Kraft weggeschleudert, da sie meist auf einem Waggon stehen – oft aus großer Höhe, Dadurch entstehen eine Reihe von schweren Begleitverletzungen, wie Knochenbrüche, Hirnblutungen und anderen inneren Verletzungen etc, die schwere Folgen wie zB Querschnittslähmungen mit sich bringen und zum Teil auch nicht mit dem Leben vereinbar sind.
Eine besondere Herausforderung für die IntensivmedizinerInnen sind auch die „unsichtbaren Verletzungen“ durch den Strom. Die Muskulatur wird stark geschädigt, es kommt zum Muskelzerfall und dadurch in weiterer Folge zu einer starken Nierenschädigung, viele Patienten brauchen eine Dialyse, also eine Nierenersatztherapie.
Auch der Herzmuskel trägt einen massiven Schaden von dem Stromschlag davon, sodass es nicht selten zu Herzrhythmusstörungen kommt, die Patienten werden auch oft reanimationspflichtig, müssen also wiederbelebt werden.
Generell kann man sagen, dass die Behandlung von Schwerbrandverletzten eine große Herausforderung für das gesamte Team darstellt. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit, vor allem von Anästhesie und plastischer Chirurgie, aber auch mit anderen Fachdisziplinen wie Unfallchirurgie oder Neurochirugie sind ist unerlässlich. Auch die enge Zusammenarbeit mit unserem Pflegepersonal, das faktisch dauernd am Patientenbett den Verletzten versorgt, ist essentiell für ein gutes Outcome eines Schwerbrandverletzten.
Im weiteren Verlauf spielen auch andere Berufsgruppen, wie Physiotherapeuten und Psychotherapeuten eine sehr große Rolle in der Versorgung dieser PatientInnen. Die psychische Belastung für Betroffene aber auch für Angehörige ist enorm. -
Wie lange dauert es in der Regel, bis sie Ihre Patienten in Richtung Reha verabschieden können?
Die Aufenthaltsdauer variiert stark je nach Verletzungsausmaß. Wenn wir die PatientInnen des letzten Jahres betrachten: Der Patient mit der längsten Behandlungsdauer war zB 45 Tage auf unserer Intensivstation bis er auf unsere Normalstation verlegt werden konnte, danach folgen meist noch einige Wochen bis ein Rehaplatz frei wird.
Viele PatientInnen, haben durch den Unfall neben den Verbrennungen auch schwere Begleitverletzungen erlitten, die z.B auch in Amputationen oder Querschnittslähmung resultieren können. Diese PatientInnen müssen sich dann mit intensiver Unterstützung von Psychotherapie und Physiotherapie erst an ihr neues Leben und an die Bewältigung des Alltags gewöhnen.
Die kürzeste Behandlungsdauer auf der Intensivstation war ein Tag, aber nur aus dem Grund, weil der Patient so starke Verbrennungen und weitere Verletzungen erlitten hat, die nicht mit dem Überleben vereinbar waren. Der 21jährige junge Mann ist leider am Aufnahmetag bei uns verstorben.
-
Was finden Sie schön und motivierend an Ihrem Job, und was sind die Schattenseiten?
Ich liebe die Vielseitigkeit der plastischen Chirurgie, und ich bin ein besonders großer Freund der rekonstruktiven Chirurgie. Defektdeckungen wie zum Beispiel freie Gewebetransplantationen sind anspruchsvolle, aber sehr schöne Operationen, wo mit Hilfe von Lupenbrille und Mikroskop an kleinsten anatomischen Strukturen gearbeitet werden kann. Die PatientInnen profitieren sehr von diesen Eingriffen. Wenn zB nach einer schweren Verbrennung der Schienbeinknochen freiliegt, kann man Gewebe eben dort hin verpflanzen und an den dortigen Gefäßen anschliessen. So vermeidet man eine Amputation des betroffenen Beines.
Schattenseiten, Rückschläge, oder komplizierte Krankheitsverläufe gibt es natürlich auch hin und wieder, aber es kann bekanntlich nicht immer die Sonne scheinen. Hinsichtlich der schwer verletzten VerbrennungspatientInnen ist es schon belastend, wenn wir nichts
mehr für einen Patienten tun können, wobei man auch in solchen Situationen noch viel positiv gestalten kann, z.B auf Schmerzfreiheit des Betroffenen, einen entsprechenden Umgang und Unterstützung für die Angehörigen zu achten.Generell überwiegen aber die schönen Seiten, ich könnte mir keinen schöneren Beruf wünschen.
-
Was möchten Sie ggf. anderen Menschen, insbesondere Jugendlichen, mitgeben?
Die große, unsichtbare Gefahr des Lichtbogens und des Starkstroms muss Jugendlichen bewusst gemacht werden, eine umfassende Information durch Schulen, Medien etc ist unerlässlich und ich würde mir eine vermehrte Aufklärung darüber wünschen. Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit kann ein Leben dramatisch verändern oder beenden.